medstra-News 30/2020
Der Hohe Rat, die höchste Instanz für Zivil- und Strafgerichtsbarkeit in den Niederlanden, hat am 21.4.2020 den Freispruch einer Ärztin bestätigt, die einer an Demenz erkrankten Patientin Sterbehilfe geleistet hatte, wie die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichten. Es handelt sich um das erste höchstrichterliche Urteil zu Sterbehilfe, seitdem das Land 2002 aktive Sterbehilfe unter engen Bedingungen teilweise legalisiert hat.
Die Patientin hatte nach ihrer Diagnose im Jahr 2012 eine Patientenverfügung verfasst, in der sie festhielt, bei Fortschreiten der Krankheit lieber sterben zu wollen als in einem Pflegeheim zu leben. Bei Verfassen der Patientenverfügung war die Patientin auch noch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte gewesen. Nachdem sich ihr Zustand verschlechterte und sie in ein Pflegeheim umzog, äußerte sie sich allerdings widersprüchlich was ihren Sterbewunsch anbelangte. Letztlich hatte die Ärztin der Patientin zunächst ein Beruhigungsmittel und anschließend das tödliche Medikament verabreicht, ohne zuvor das Gespräch mit der Patientin gesucht zu haben. Diese habe sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr eindeutig hinsichtlich ihres Sterbewunsches geäußert.
Die Staatsanwaltschaft hatte anschließend Anklage wegen Mordes erhoben, angesichts der besonderen Situation aber nur eine Verurteilung ohne Strafmaß gefordert. Im September 2019 wurde die Ärztin von einem Strafgericht in Den Haag bereits freigesprochen (s. hierzu auch die medstra News vom 20.9.2019). Ein Generalstaatsanwalt hatte daraufhin Berufung eingelegt, um die Rechtslage zur Sterbehilfe an dementen Patienten höchstrichterlich zu klären.
Die Richter des Hohen Rats stützten sich in ihrem Urteil – ebenso wie der Generalstaatsanwalt in seinem Gutachten – maßgeblich auf das Konzept der „precedent autonomy“. Dieses besagt, dass bei Demenzkranken, die keine eigenverantwortliche Entscheidung mehr treffen können, die Entscheidungen maßgeblich sind, die sie selbst noch bei vollem Verstand treffen konnten.