medstra-News 4/2021
„Wir müssen befürchten, dass insbesondere erkrankte Hochbetagte in Pflegeheimen nicht die medizinische Versorgung bekommen, die sie eigentlich bräuchten.“ Mit diesem Satz hat Corinna Rüffer, Gesundheitsexpertin der Grünen im Bundestag, eine Debatte über eine versteckte Triage in Pflegeheimen ausgelöst.
Der Umstand, dass nach den Statistiken des Robert-Koch-Institutes (RKI) rund zwei Drittel der Coronatoten nicht auf Intensivstationen gestorben sind „könnte darauf hindeuten, dass vor Ort in einer Art Triage entschieden wird, schwer Erkrankte nicht mehr ins Krankenhaus zu bringen. Das muss untersucht werden.“ so Rüffer.
Da über 90 Prozent der Coronatoten über 70 Jahre alt sind, das Durchschnittalter auf den Intensivstationen teilweise jedoch auf unter 60 Jahre gesunken ist, bestehe für sie „der Verdacht, dass Menschen aus Pflegeheimen keine Chance auf eine intensivmedizinische Behandlung bekommen, weil sie von vornherein aussortiert werden. Wenn das zutrifft, würde das im Prinzip bedeuten, dass eine Vor-Triage in Einrichtungen stattfindet“. Die hohen Zahlen der Hochbetagten, die außerhalb von Intensivstationen sterben, ließen sich auch nicht durch schnelle Krankheitsverläufe, Patientenverfügungen oder Entscheidungen der Angehörigen erklären.
Auch Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, findet: „Dieser Wiederspruch ist besorgniserregend“. Es sei dringend erforderlich, dass eine Statistik zu den Sterbeorten der Coronatoten geführt wird.
Auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) äußerte sich zu den aufgekommenen Vermutungen und stellte klar, dass es völlig inakzeptabel wäre, wenn eine versteckte Triage in Pflegeheimen stattfinden würde. „Darüber muss doch Einigkeit herrschen, ethisch wie rechtlich: In diesem Land ist uns jedes Leben gleich viel wert.“ Es „wäre schrecklich, wenn alte Menschen wegen fehlender 'Erfolgsaussichten' nicht mehr aus Pflegeheimen in Krankenhäuser überwiesen würden“ sagte sie gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Weniger Grund zur Besorgnis sieht hingegen Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte der SPD. Es sei anzunehmen, dass sich Ärzte und Angehörige in vielen Fällen auch auf Basis einer Patientenverfügung gegen eine Einweisung in die Klinik entscheiden. „Ich glaube nicht, dass hier versteckte Rationierung eine Rolle spielt, etwa um die Intensivstationen zu entlasten“ sagte er in der ZDF-Sendung „maybrit illner“. Statt eine Einweisung vorzunehmen werde vielmehr in der gewohnten Umgebung mit der Palliativbehandlung begonnen.