medstra-News 70/2021 vom 8.10.2021
In Texas, USA, ist am 1.9.2021 ein neues und heftig umstrittenes Gesetz in Kraft getreten, das Abtreibungen weitgehend verbietet. Die Regelung sorgt derzeit für scharfe Diskussionen, ist Anlass zahlreicher Klagen und eines neuen Gesetzentwurfs auf Bundesebene. Nun wurde das Gesetz vorläufig ausgesetzt.
Das texanische Gesetz sieht vor, dass Ärzte vor jeder Abtreibung zunächst feststellen müssen, ob bei dem Ungeborenen ein Herzschlag feststellbar ist, was ungefähr ab der sechsten Schwangerschaftswoche der Fall ist. Wurde ein Herzschlag festgestellt, dürfen Ärzte keine Abtreibung mehr durchführen. Eine Ausnahme ist lediglich bei – nicht näher spezifizierten – medizinischen Notfällen vorgesehen.
Im Falle eines Verstoßes sieht das Gesetz allerdings keine strafrechtlichen Sanktionen vor und verbietet sogar gänzlich jegliches Eingreifen der Behörden. Vielmehr berechtigt das Gesetz ausdrücklich Privatpersonen dazu, diejenigen Personen, die die Abtreibung durchgeführt haben oder die auf verschiedene Weise an der Durchführung oder Anstiftung zur Abtreibung beteiligt waren, vor den Zivilgerichten zu verklagen. Die abtreibende Schwangere selbst kann nicht verklagt werden. Ist die Klage erfolgreich, muss der Beklagte dem Kläger die Kosten der Klage erstatten sowie mindestens 10.000 $ an den Kläger zahlen. Umgekehrt werden dem Beklagten keinerlei Kosten zurückerstattet, wenn die Klage keinen Erfolg hatte.
Diese besondere Konstruktion – Privatpersonen anstatt staatliche Behörden die Durchführung des Gesetzes zu überlassen – dient dazu, Klagen gegen das Gesetz zu erschweren. Zusätzliche Hürden wurden aber auch dadurch geschaffen, dass beispielsweise Rechtsanwälte, die Personen vertreten, die das Gesetz angreifen, persönlich für die juristischen Kosten der Gegenseite haftbar gemacht werden.
Dennoch wurden bereits mehrere Klagen gegen das neue Gesetz vor verschiedenen Gerichten erhoben. So konnte die Organisation „Planned Parenthood“ vor einem texanischen Gericht erwirken, dass unter anderem die Gruppe „Texas Right to Life“, die Abtreibungen entschieden ablehnt, sowie zahlreiche Einzelpersonen einstweilig keine Klagen gegen Ärzte oder Abtreibungshelfer einreichen dürfen. Andere Klagen, unter anderem ein Eilantrag vor dem Supreme Court, wurden hingegen abgelehnt.
Mittlerweile hat auch das US-Justizministerium Klage gegen das Gesetz eingereicht. Die erste Anhörung in dem Verfahren hat am Freitag, den 1.10.2021 stattgefunden. Am Mittwoch, den 6.10.2021 (Ortszeit) hat der zuständige Richter nun in einem 113-seitigen, sehr scharf formulierten Urteil entschieden, dass das Gesetz vorläufig ausgesetzt wird. Ob dieses Urteil aber auch dazu führt, dass betroffene Frauen wieder Zugang zu Abtreibungen erhalten, ist fraglich: Sollte die vorläufige Aussetzung später wieder aufgehoben werden, sieht das texanische Gesetz nämlich vor, dass Abtreibungshelfer auch für Abtreibungen haften, die während der vorläufigen Aussetzung vorgenommen wurden.
Das Abtreibungsgesetz, das nach Angaben von „Planned Parenthood“ 85 bis 90 Prozent aller Abtreibungen betrifft, die bisher in Texas durchgeführt wurden, ist gesellschaftlich und politisch hoch umstritten. So haben beispielsweise die Fahranbieter Uber und Lyft angekündigt, dass sie Kosten für Fahrer übernehmen wollen, die nach dem neuen Gesetz verklagt werden.
Viele befürchten außerdem, dass das texanische Gesetz Vorbildcharakter für andere republikanisch geführte Bundesstaaten haben könnte. Auf Bundesebene hat das demokratisch dominierte Repräsentantenhaus darum am 24.9.2021 mit 218 zu 211 Stimmen ein Gesetz beschlossen, welches das Recht auf Abtreibung US-weit festschreiben soll. Ob das Gesetz auch im Senat die erforderliche Mehrheit finden wird, erscheint allerdings zweifelhaft.