medstra-News 50/2022 vom 19.5.2022
In seiner Orientierungsdebatte über die verfassungskonforme Neuregelung der Sterbehilfe am 18. Mai 2022 hat der Bundestag über drei fraktionsübergreifende Anträge diskutiert (s. bereits medstra-News 41/2022).
Nach dem insbesondere auf die Abgeordnete Katrin Helling Plahr (FDP) zurückgehenden Entwurf soll das Recht auf selbstbestimmtes Sterben im Rahmen eines Suizidhilfegesetzes außerhalb des Strafrechts gesetzlich verankert werden. Im Vorfeld haben sich die Betroffenen in einer der bundesweit flächendeckend noch aufzubauenden staatlich anerkannten Beratungsstellen zu informieren und nachzuweisen, dass ihre Entscheidung auf einem freien und eigenverantwortlichen gefassten Entschluss beruht. Eine Verschreibung von Medikamenten zur Selbsttötung ist nach dem Vorschlag frühestens zehn Tage nach einem Beratungsgespräch vorgesehen und soll durch eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes realisiert werden. Obwohl das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2019 einen Anspruch schwerkranker Menschen auf tödliche Betäubungsmittel bejahte (Urt. v. 28. Mai 2019, Az. 3 C 6.17), wurde die Verpflichtung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), den Erwerb des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital für diese Personengruppe zu erlauben, in der Rechtsprechung wiederholt abgelehnt (zuletzt OVG Münster, Urt. 2. Februar 2022, Az. 9 A 146/21, 9 A 147/21 und 9A 148/21). „Ein Recht, das sich nicht ausüben lässt, ist kein Recht“, betonte die Mitinitiatorin des Entwurfs Petra Sitte (Linke) im Zusammenhang mit dem geforderten legalen Zugang zu den tödlich wirkenden Betäubungsmitteln. Zur Hilfe bei der Selbsttötung könne nach einer zu treffenden Regelung im Suizidhilfegesetz jedoch nach wie vor niemand verpflichtet werden. Schließlich sollen Regelungen hinsichtlich der fachlichen Anforderungen an die Ärzte sowie die Vergütung des assistierten Suizids künftig in einer Rechtsverordnung bestimmt werden.
Der zweite Vorschlag, der auf die Grünen-Abgeordneten Renate Künast und Katja Keul zurückgeht, differenziert beim Zugang zu tödlich wirkenden Betäubungsmitteln nach dem Motiv der Betroffenen für ihren Suizidwunsch. Beruht die Entscheidung auf einer schweren Krankheit des Suizidwilligen, können Ärzte die Medikamente bereits bei Vorliegen eines freien Entschlusses des Betroffenen und durch Einholung einer Bestätigung durch einen unabhängigen zweiten Arzt verordnen. Sind die Motive des Einzelnen dagegen auf andere Gründe als eine medizinische Notlage zurückzuführen, ist bei der zuständigen Landesstelle eine gesonderte Erlaubnis zu beantragen. Künast forderte im Rahmen der parlamentarischen Auseinandersetzung einen klaren, rechtssicheren und transparenten Weg für ein eigenes Schutzgesetz, das seinen Ursprung nicht im Strafgesetzbuch finden dürfe.
Die dritte fraktionsoffene Gruppe von Abgeordneten um Lars Castellucci (SPD) spricht sich schließlich für die grundsätzliche Wiedereinführung der Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Suizidhilfe aus. Zur Sicherstellung des vom Bundesverfassungsgericht konstatierten Rechts auf selbstbestimmtes Sterben soll der assistierte Suizid im Falle einer ärztlichen Begutachtung allerdings gestattet werden, sofern sich der volljährige und einsichtsfähige Betroffene zweimal in einem Abstand von drei Monaten einer Untersuchung eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie unterzogen und ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch absolviert hat. Zusätzlich wird die Bundesregierung in dem Vorschlag dazu angehalten, einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Suizidprävention auf den Weg zu bringen. Ziel sei es, Suizide zu ermöglichen, „ohne sie zu fördern“, äußerte sich Castellucci in der Orientierungsdebatte.
Die Ärztekammer Nordrhein hat derweil ebenfalls an den Bundestag appelliert, die Weichen für ein Suizidpräventionsgesetz zu stellen, um die Suizidprävention, die Angehörigenbegleitung, die Suizidforschung und das Nationale Suizidpräventionsprogramm in Deutschland nachhaltig zu stärken. Nach Ansicht der Ärztekammer werde der Fokus in der Debatte zu stark auf die Ermöglichung der Sterbehilfe gelegt, anstelle den oftmals in Krankheit, Einsamkeit und Verzweiflung lebenden Suizidwilligen Unterstützung anzubieten, damit diese Menschen ihre Entscheidung nochmals überdenken können. Der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, sieht in der Vielzahl an Suizidwünschen einen „gesellschaftlichen Auftrag, […] die Suizidprävention zu stärken“. Um einem Anstieg der Suizidwünsche entgegenzutreten, müsse zudem eine Verbesserung der Lebensbedingungen durch „Armutsbekämpfung, gute Pflege im Alter, bei Krankheit und Behinderung sowie durch ein verlässliches psychosoziales Hilfesystem, erreicht werden“, so Henke. Ansonsten ändere sich laut dem Präsidenten der Ärztekammer nichts an dem „gesellschaftlichen Klima, in dem sich schwerkranke, pflegebedürftige oder behinderte Menschen zur Selbsttötung gedrängt fühlen, um niemanden eine Last zu sein.“
Eine Orientierungsdebatte zur Neuregelung der Sterbehilfe wurde bereits im vorherigen Jahr geführt. Angesichts des geltenden Grundsatzes der sachlichen Diskontinuität, nach dem mit der Beendigung des Bundestages alle eingebrachten Gesetzesvorlagen, die bis zum Ende der Wahlperiode noch nicht abgeschlossen sind, als erledigt gelten, konnten die damals vorgelegten Gesetzentwürfe hingegen keine Berücksichtigung mehr finden und wurden daher in zum Teil leicht veränderter Form neu ins Parlament eingebracht. Noch vor der Sommerpause sollen die Entwürfe in erster Lesung beraten werden. Eine Neuregelung der Sterbehilfe wird von den Abgeordneten im Herbst diesen Jahres angestrebt.