medstra-News 67/2022 vom 21.6.2022
Das von Karl Lauterbach (SPD) geführte Bundesgesundheitsministeriums (BMG) hat einen Referentenentwurf für die Neuregelung der Triage vorgelegt und davon abgesehen, die sogenannte „Ex-post-Triage“ unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen. Nachdem bereits im Mai 2022 ein Gesetzesvorschlag des BMG kursierte, der eine Ex-post-Triage im Falle einer einvernehmlich getroffenen Entscheidung durch drei intensivmedizinische erfahrene Fachärzte als rechtmäßig eingestuft hatte (s. bereits medstra-News 47/2022), findet die Zulässigkeit der Ex-post-Triage im neuen Referentenentwurf vom 2. Juni 2022 keine Erwähnung mehr. Lauterbach hatte die Ex-post-Triage bereits als „ethisch nicht vertretbar“ bezeichnet und sich von einer Aufnahme in den Gesetzesvorschlag klar distanziert.
Nach dem Referentenentwurf soll die Entscheidung, welchem der Patienten in Anbetracht der erschöpften Kapazitäten zuerst eine Behandlung zuteilwird, „nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Patientinnen und Patienten getroffen werden“. Faktoren wie Alter, Gebrechlichkeit, ethnische Herkunft, Religion, Weltanschauung, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder eine Behinderung seien dagegen „keine geeigneten Kriterien“ zur Auswahlentscheidung. Im Falle der Notwendigkeit einer Ex-post-Triage-Entscheidung sei diese „von zwei mehrjährig intensivmedizinisch erfahrenen praktizierenden Fachärztinnen oder Fachärzten mit der Zusatzweiterbildung Intensivmedizin einvernehmlich zu treffen" und setze eine voneinander unabhängige Begutachtung durch die Experten voraus. Wird kein Einvernehmen erzielt, soll eine „gleichwertig qualifizierte ärztliche Person“ konsultiert und durch Mehrheitsbeschluss entschieden werden. Handelt es sich bei den Betroffenen um Menschen mit Behinderungen oder Vorerkrankungen, bedürfe die Entscheidung der „Einschätzung einer weiteren hinzugezogenen Person mit entsprechender Fachexpertise für die Behinderung oder die Vorerkrankung". Der Abbruch einer bereits laufenden intensivmedizinischen Versorgung von Patienten sei dagegen selbst dann nicht zulässig, wenn die Überlebenswahrscheinlichkeit der unbehandelten Person als höher eingeschätzt wird. Hierzu heißt es im Vorschlag: „Bereits zugeteilte überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten sind von der Zuteilungsentscheidung ausgenommen“. Die Kliniken werden in dem Referentenentwurf dazu angehalten, möglichen Kapazitätsengpässen mit der Verlegung von Patienten in andere Krankenhäuser oder „durch die Verschiebung planbarer, nicht zeitkritischer Operationen“ zu begegnen.
Hintergrund des Referentenentwurfs ist das Urteil des BVerfG von Dezember 2021 (Az. 1 BvR 1541/20), in dem das Gericht den Gesetzgeber dazu aufforderte, eine Regelung zur Triage zu treffen und hierbei sicherzustellen, „jede Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Verteilung pandemiebedingt knapper intensivmedizinischer Behandlungsressourcen hinreichend wirksam“ zu verhindern. Die umstrittene Debatte zur Ex-post-Triage betrifft die Konstellationen, in denen eine bereits andauernde Behandlung eines Patienten zugunsten eines priorisierten Neuankömmlings beendet wird.