medstra-News 84/2022 vom 01.08.2022
In ersten Stellungnahmen wurden divergierende Resonanzen bzgl. des Referentenentwurf vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) vom 14. Juni 2022 zur Neuregelung der Triage im Infektionsschutzgesetz (IfSG) deutlich (ausführlich zum Referentenentwurf und dessen Hintergründen siehe medstra-News 67/2022). Kritisiert wurde neben einer mangelnden Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen bei der Ausarbeitung des Entwurfs, die auch nach dem Entwurf fortbestehende mögliche Benachteiligung von Menschen mit Behinderung.
Der Marburger Bund urteilte, dass auch der Referentenentwurf keine Rechtssicherheit für behandelndes ärztliches Personal sicherstelle. Es bestehe eine unzureichende Klarstellung, dass die einzelfallbezogenen Entscheidungen zur priorisierten Allokation medizinischer Ressourcen nicht zu rechtlichen Risiken für Ärzte und Ärztinnen führen dürfen. Weiter kritisierte der Marburger Bund, dass die im Entwurf enthaltenen Kontrollsysteme eines komplizierten Mehraugenprinzips sowie umfangreiche Dokumentationspflichten nicht den alltäglich begrenzten personellen Kapazitäten auf Intensivstationen entsprächen und damit die Ärzteschaft zusätzlich belastet werden könnte. Zudem wird der Ausschluss der Ex-post-Triage bemängelt. Er führe dazu, dass neu hinzukommende Patienten mit ebenfalls schwerwiegenden Erkrankungen, aber höheren kurzfristigen Überlebenschancen, nicht intensivmedizinisch behandelt werde könnten. Dieser „first come first serve“-Grundsatz sei weder ethisch zu legitimieren als auch mit der Realität in deutschen Krankenhäusern vereinbar.
Die Diakonie, der Deutsche Evangelische Krankenhausverband (DEKV) sowie der Bundesverband evangelischer Behindertenhilfe (BeB) sehen in dem Entwurf hingegen eine deutliche Klarstellung und Festlegung der Zuteilungskriterien. Die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit der Betroffenen sei als richtiges Entscheidungskriterium gewählt worden, andere ethisch fragwürdige Kriterien wie die Gebrechlichkeit, das Alter, das Vorliegen einer Behinderung, die verbleibende Lebenserwartung und die vermeintliche Lebensqualität der Patienten demnach richtigerweise explizit ausgeschlossen.
Zugleich sehen die diakonischen Verbände jedoch Verbesserungsbedarf. Bei Entscheidungen nach dem Mehraugenprinzip sollten aufgrund der Nähe zum Patienten ebenfalls die Pflegekräfte involviert werden. So könnte wichtige Informationen aus der täglichen Versorgung der Patienten die medizinische Sicht ergänzen und dazu beitragen, unbewusste Diskriminierungen zu vermeiden. Frank Stefan, Vorsitzender des BeB fordert darüber hinaus, dass die ärztliche Ausbildung insgesamt um Inhalte zu behinderungsspezifischen Besonderheiten erweitert werden müsste.