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Referentenentwurf zur Abhilfe von Arzneimittellieferengpässen veröffentlicht

medstra-News 19/2023 vom 21.2.2023

Seit dem 14. Februar 2023 liegt ein Referentenentwurf eines Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) vor. Im Vergleich zu dem von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bereits im Dezember 2022 vorgelegten Eckpunktepapier enthält dieser nur geringfügige Änderungen.

Der Entwurf sieht zunächst mehrere Regelungen vor, die die Preisfestsetzung spezifischer Arzneimittel für die Pharmaindustrie attraktiver gestalten. Zunächst sollen Arzneimittel mit altersgerechten Darreichungsformen für Kinder nicht mehr in Festbetragsgruppen, also mit fixierten maximalen Erstattungsbeträgen, klassifiziert werden, sondern die Hersteller den Abgabepreis einmalig auf das Anderthalbfache des zuletzt geltenden Abgabepreises anheben dürfen. Die Preiserhöhung von bis zu 50 Prozent über den zuletzt geltenden Festbetrag soll Produktionsanreize für die Hersteller von Kinderarzneimitteln schaffen. Die vom GKV-Spitzenverband und dem Bundesgesundheitsministerium bereits im Dezember ausgehandelte Ausnahmeregelung für Kinderarzneien wird schätzungsweise die gesetzlichen Krankenversicherungen zusätzlich in Höhe von 160 Millionen Euro belasten. Weitere anreizschaffende Sonderregelungen sollen auch für Reserveantibiotika mit neuen Wirkstoffen implementiert werden. 

Lieferengpässen soll jedoch nicht nur mit ökonomischen Anreizen entgegengewirkt werden. Auch regulatorische Vorgaben sind geplant. Eine Pflicht zur mehrmonatigen Lagerhaltung für die Hersteller soll helfen, kurzfristige Störungen in der Lieferkette oder eine kurzzeitig gestiegene Nachfrage auszugleichen. Auch für Krankenhausapotheken und krankenhausversorgende Apotheken soll künftig eine erhöhte Bevorratungsregelung gelten. Weiter enthält der Entwurf neue die Apotheken adressierende Austauschregelungen für Arzneimittel mit einer kritischen Versorgungslage. Das Management von Lieferengpässen durch Apotheken wird zusätzlich gefördert, indem diese mit einer 50-Cent-Pauschale vergütet werden, wenn sie Rücksprache mit den behandelnden Ärzten und Ärztinnen bzgl. der Nachfrage der Arzneimittel halten.

Daneben sollen die Möglichkeiten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verbessert werden, Lieferengpässe zu identifizieren und die Versorgungslage präziser zu beurteilen. Laut Entwurf sollen dafür im Arzneimittelgesetz (AMG) neue Informationspflichten festgeschrieben werden. Die Pharmaunternehmen und -großhändler müssen demnach gegenüber dem BfArM-Beirat regelmäßig Bericht über etwaige Lieferengpässe erstatten. Weiter wird vorgeschlagen, ein Frühwarnsystem zur Erkennung von drohenden versorgungsrelevanten Lieferengpässen beim BfArM einzurichten.

Zuletzt soll das Rabattsystem zwischen Krankenkassen und Herstellern erweitert werden, um die Lieferketten zu diversifizieren. Um weitere Versorgungssicherheit zu leisten, soll die vollständige oder teilweise Produktion von Wirkstoffen oder Medikamenten in Europa zum Kriterium von Rabattverträgen gemacht werden. 

Der Generikaindustrie, welche hauptsächlich von dem Gesetzentwurf betroffen sein wird, geht er jedoch nicht weit genug. Bork Bretthauer, Geschäftsführer des Verbands Pro Generika, kritisiert, dass der Entwurf lediglich Lieferengpässe bei Antibiotika und Krebsmitteln adressiere, die nur 1,1 % aller Arzneimittel ausmachten. Auch der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) unterstützt diese Kritik. Hauptgeschäftsführer Hubertus Cranz sieht lediglich „punktuelle Korrekturen und zusätzliche Belastungen“ auf die Hersteller zukommen. Benötigt werde hingegen eine umfassende Überprüfung der Vergabe von Rabattverträgen sowie ein Inflationsausgleich für preisregulierte Arzneimittel. Sonst würden noch mehr Hersteller aus der Produktion in Europa aussteigen.

Kritik erfährt der Entwurf auch von Seiten der Apotheker. Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, sieht die 50-Cent-Pauschale für ein aufwendiges Management der Lieferengpässe als deutlich zu gering an. Diese sei „eine Herabwürdigung der Leistungen“ der Apothekenteams. Zudem wäre es sinnvoll, die bereits erleichterten, bewährten Austauschregeln für Arzneimittel uneingeschränkt aufrechtzuerhalten. Die neuen Austauschregularien überzeugen hingegen nicht.

Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, gab zudem zu bedenken, dass die Erhöhung von Festbetragsgrenzen und Preisen die globalen Probleme mit Lieferengpässen nicht lösen werde. Auch Anreize für eine für die Hersteller attraktivere nationale Preisfestsetzung würden die Forschung an neuen Arzneimitteln nicht verbessern. Die stark regulierte Preisbildung führe nicht allein zur Unattraktivität bspw. der Entwicklung neuer Reserveantibiotika für pharmazeutische Unternehmen.


Verlag C.F. Müller

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