medstra-News 101/2025 vom 11.11.2025
Report Mainz-Recherchen zufolge sind in den letzten zehn Jahren 21 Patienten nach Vollnarkosen in Arztpraxen gestorben. Der Grund dafür sei, dass ärztliche Standards ignoriert wurden. Sechs weitere Patienten sollen schwere Hirnschäden erlitten haben, wovon einige bis heute pflegebedürftig sind.
Monatelang hat das ARD-Politikmagazin Medizinrechtsanwälte und Staatsanwaltschaften befragt und in Gerichtsurteilen recherchiert. Den Recherchen zufolge kommt es im Durchschnitt jährlich zu mindestens zwei bis drei schwerwiegenden Fällen von Komplikationen nach Vollnarkosen in Arztpraxen, beispielsweise beim HNO-Arzt oder Zahnarzt. Zehn Mediziner wurden verurteilt. Derzeit laufen noch mehrere Verfahren. Es wurde etwa auf wichtige Überwachungsgeräte oder geschultes Personal verzichtet und somit grundlegende Standards unterschritten.
Dem Anästhesisten und ehemaligen Klinikdirektor Prof. Uwe Schulte-Sasse zufolge seien die Fälle vermeidbar gewesen. „Gesunde Patienten, kleine Eingriffe. Diese Patienten müssen eine Vollnarkose überleben.” Die Bedingung dafür sei jedoch, dass Ärzte sich an die Standards hielten.
Der Richter am Landgericht Tim Neelmeier, der mehrere Fälle juristisch begleitet hat, erkennt ein Muster: „Standardunterschreitungen sind hier wirtschaftlich motiviert. Das kann man ganz klar sagen.” Hierfür sieht Neelmeier die Ursachen im Abrechnungssystem. Ärzte würden nur dafür bezahlt, dass sie die Narkose durchführen, das Wie spiele dabei grundsätzlich keine Rolle.
Anästhesiologische Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI) sowie der Berufsverband Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten e.V. (BDA) fordern in einer Presseerklärung unter anderem das Bundesgesundheitsministerium auf, die Mindeststandards für anästhesiologische Arbeitsplätze rechtlich verbindlich festzulegen. Richter Neelmeier fordert, dass die Einhaltung der Mindeststandards durch Kassenärztliche Vereinigungen kontrolliert werden. Ansonsten müssten in Arztpraxen Vollnarkosen verboten werden. Das Gesundheitsministerium sieht auf Anfrage von Report Mainz jedoch aktuell keinen Handlungsbedarf.
