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Diskussion um Beweislastumkehr bei Behandlungsfehlern

medstra-News 42/2024 vom 6.6.2024

Die Patientinnen und Patienten tragen bei ärztlichen Behandlungsfehlern die Beweislast. Fachleute diskutierten auf der Konferenz „11 Jahre Patientenrechtegesetz – Braucht es ein Update?“ über eine mögliche Beweislastumkehr und damit einhergehende Erleichterungen für die Patienten. 

„Der Status quo ist im Arzthaftungsrecht, dass die Patientinnen und Patienten einen Behandlungsfehler und die dadurch entstandene Schädigung sowie den Zusammenhang zwischen beiden beweisen müssen“, erläuterte Martin Danner, Bundesgeschäftsführer der BAG Selbsthilfe, woraufhin er konstatierte, dass jener Zusammenhang „aber nur schwer zu erbringen“ sei. 

Claus Fahlenbrach vom AOK-Bundesverband teilte mit, dass sich jährlich etwa 15.000 Versicherte mit Verdacht auf einen Behandlungsfehler an die AOK wenden. „Bei etwa 30 Prozent der Fälle gehen wir davon aus, dass der Behandlungsfehler ursächlich für einen Schaden war“, erklärte Fahlenbrach. „Für die Versicherten entstehen dann aber große Hürden. Denn die Kausalität zwischen Fehler und Schaden muss zu 100 Prozent klar sein.“ Die Zurückhaltung vieler Betroffener, rechtliche Schritte einzuleiten, resultiert aus der Befürchtung, langwierige und kostspielige Gerichtsverfahren durchlaufen zu müssen. 

Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Janosch Dahmen, setzte sich für eine Novellierung des Patientenrechtegesetzes ein. „Wir sind davon überzeugt, dass die Reform des Patientenrechtegesetzes ein zentraler Baustein zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung in Deutschland ist“, äußerte der Politiker der Grünen. Nach Darstellung der Grünen-Bundestagsfraktion plant das Bundesgesundheitsministerium noch im laufenden Jahr einen ersten Entwurf für eine Reform des Patientenrechtegesetzes zu präsentieren.

Die Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Trier, Carina Dorneck, warnte vor einer Beweislastumkehr: „Bei einer Verschiebung der Haftungsrisiken wird der Weg in die Defensivmedizin gestärkt“, erklärte sie. Mediziner seien dazu geneigt, sich auf Behandlungsmethoden zu beschränken, die nahezu sicher ohne Schaden verlaufen würden, anstatt sich für sinnvollere, aber möglicherweise risikoreichere Therapien zu entscheiden. Dorneck prognostiziert eine Zunahme unverhältnismäßiger Dokumentationspflichten, sollten Ärzte gezwungen sein, sich gegen unbegründete Schadensersatzforderungen zu verteidigen. 

Karsten Scholz, Leiter des Dezernats Recht der Bundesärztekammer, wies darauf hin, dass im aktuellen Patientenrechtegesetz auch die Organisationsverantwortung bei Nichteinhaltung des medizinischen Standards als Behandlungsfehler aufgeführt wird. „Dazu gehört die schlüssige Planung der Arbeitsabläufe, Vertretungsregelungen oder die Einhaltung der notwendigen Hygiene“, so Scholz. Das Gesetz habe in diesem Bereich keine große Wirkung entfaltet, bei den Gerichten stehe dieser Aspekt nicht so sehr im Fokus. „Wir müssen uns aus den Grabenkämpfen lösen und uns klar machen, warum bestimmte Fehler passieren. Wenn wir uns verschiedene Schadensfälle anschauen, stellen wir fest, dass nicht nur die unmittelbar an dem Schaden Beteiligten ursächlich für den Schaden sind, sondern auch Dritte, die in der Regel innerhalb der Organisationsverantwortung der Einrichtung über Ressourcen entscheiden“, sagte Dahmen. 

Tim Neelmeier, Vorsitzender Richter am Landgericht Itzehoe, betrachtet die durch das System der diagnosebezogenen Fallpauschalen gesetzten Anreize als potenziellen Faktor für Behandlungsfehler. Er nannte als Beispiel die Situation, in welcher Patienten infolge ökonomischen Drucks ein erhöhtes Risiko für Behandlungsfehler verschwiegen wird. 

Dem emeritierten Professor für Psychiatrie und Psychotherapie Karl Beine zufolge sind die Strukturen in deutschen Krankenhäusern durch das Personal vor Ort wenig beeinflussbar. Gerade dieses tragen allerdings das haftungsrechtliche sowie strafrechtliche Risiko. „Und man muss sich vergegenwärtigen, was eigentlich jeder weiß: Hetze und Druck machen fehleranfällig.“


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