medstra-News 124/2022 vom 30.11.2022
Nachdem das Bundesverfassungsgericht 2020 den umstrittenen § 217 StGB für verfassungswidrig erklärte, der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung verbot, wird im Bundestag derzeit über drei Gesetzentwürfe zum Thema Sterbehilfe beraten (s. bereits medstra-News 50/2022). Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens hörte der Rechtsausschuss am 28.11.2022 Sachverständige an, die zu den drei Gesetzentwürfen sowie einem Antrag zur Förderung der Suizidprävention Stellung bezogen.
In der intensiven Anhörung waren sich alle Sachverständigen einig, dass Suizidprävention oberste Priorität haben sollte und hier größere Anstrengungen unternommen werden müssen. Insbesondere Dr. Ute Lewitzka von der deutschen Gesellschaft für Suizidprävention und Professor Dr. Winfried Hardinghaus, der Vorsitzende des Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verbands forderten, eine Stärkung der Suizidprävention auch gesetzlich zu verankern. Hardinghaus betonte, dass es dazu auch einer Stärkung der Palliativ-Versorgung in Deutschland bedürfe.
Unter den Sachverständigen mit rechtswissenschaftlichem Hintergrund befürwortete lediglich Professor Dr. Arndt Sinn (Universität Osnabrück) den Gesetzentwurf der Abgeordnetengruppe um Castellucci/Heveling. Er regte allerdings an, die bisher als Rechtfertigung konzipierte Ausnahme der Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Suizidassistenz als Tatbestandsausschluss zu gestalten. Die übrigen vier Sachverständigen mit rechtlicher Expertise lehnten den Entwurf allerdings klar ab. Der Vorsitzende des Ausschusses Strafprozessrecht der Bundesrechtsanwaltskammer, RA Professor Dr. Christoph Knauer, hielt den Entwurf für verfassungswidrig, da das vorgesehene Verfahren die Möglichkeit, in der Praxis auf assistierten Suizid zurückgreifen zu können, zu stark einschränke. Auch Professor Dr. Karsten Gaede (Bucerius Law School, Hamburg) wies darauf hin, dass das komplizierte Verfahren alle Beteiligten zu überfordern drohe. Professor Dr. Frister (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) befürchtete, dass dadurch letztlich Sterbehilfeorganisationen gestärkt würden. Auch RA Dr. Gina Greeve vom Deutschen Anwaltsverein warnte vor einem übermäßigen Einsatz des Strafrechts.
Aus medizinethischer Sicht zeigte Professorin Dr. Bettina Schöne-Seifert (Universität Münster) auf, welcher gesellschaftlicher grundsätzlicher Dissens hinter der aktuellen Debatte stehe. Dabei betonte sie, dass denjenigen, die auf freiverantwortliche Sterbehilfe zurückgreifen möchten, dies auch ermöglicht werden müsse, und zwar ohne übermäßige Hindernisse. Dies forderte auch Maximilian Schulz, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist und nicht ausschließt, irgendwann selbst Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Für ihn bedeute die Möglichkeit, Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu können, Lebensqualität.