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Anstieg von Schwangerschaftsabbrüchen im Jahr 2022

medstra-News 38/2023 vom 18.4.2023

Laut dem Statistischen Bundesamt ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im Jahr 2022 um 9,9 % im Vergleich zu dem vorangegangenen Jahr angestiegen. 2021 wurden 94.600 Abtreibungen verzeichnet, im folgenden Jahr hingegen 104.000.

Bei der Einordnung der Zahlen weist die Soziologin Lara Minkus darauf hin, dass im Jahr 2021 die Zahl der vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche im Vergleich zu den Vorjahren jedoch deutlich abgefallen sei. Grund für den Rückgang war mit hoher Wahrscheinlichkeit die Pandemie. Im letzten Jahr vor der Pandemie waren 2019 mit 100.893 Behandlungen über 5000 mehr Abtreibungen als im Jahr 2021 erfasst worden. Der Zugang zur verpflichtenden Beratung und zu Ärztinnen und Ärzten sei während der Pandemie sehr schwierig gewesen, so Minkus. Auch Regine Wlassitschau, Pressesprecherin bei Pro Familia, einer staatlich anerkannten Beratungseinrichtung, bestätigt, dass ihre Einrichtung während der Pandemie viel über Telefon und Video beraten musste und rechtliche Unsicherheiten bestanden. Zum Beginn der Pandemie sei beispielsweise unklar gewesen, ob Beratungsbescheinigungen, ohne die eine Abtreibung nicht möglich ist, per Post verschickt werden könnten.

Ferner habe sich das Abtreibungsverfahren für Frauen, die auf eine unmittelbare Kostenübernahme der Krankenkasse für die Behandlung angewiesen waren, verkompliziert. Das Antragsverfahren sei laut Wlassitschau aufgrund der Pandemie deutlich umständlicher geworden. Es habe oft tagelang gedauert, was bei der engen Frist von zwölf Wochen zur grundlegenden Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs unter Strafausschluss, fatal gewesen sei.
Betrachtet man die Entwicklungen nach Beginn der 2000er Jahre, ist die Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen stetig gesunken. Im Jahr 2000 trieben noch 134.000 Frauen ab, 2015 wurden nur 98.464 Schwangerschaftsabbrüche verzeichnet. 

Als einen Grund für den Anstieg wird die vermehrte Bereitstellung von Informationen für Abtreibungen nach Abschaffung des § 219a StGB (dazu ausführlich medstra-News 75/2022) vorgebracht. Minkus hingegen sieht den Hauptgrund für Abtreibungen in finanziellen Unsicherheiten in der aktuellen Lebenssituation. Die meisten „Frauen [trieben] nicht aus spontanen Impulsen ab, sondern aus rational nachvollziehbaren Gründen“. Viel eher sei der Anstieg der Inflation und somit der Lebenshaltungskosten für die erhöhte Anzahl der Abtreibungen verantwortlich.


Verlag C.F. Müller

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