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Sachverständigenanhörung zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs – wohl keine Abstimmung mehr im Bundestag

medstra-News 16/2025 vom 14.2.2025

Am 10. Februar 2025 befasste sich der Rechtsausschuss des Bundestags in einer öffentlichen Anhörung mit dem Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs (BT-Drucks. 20/13775; dazu medstra-News 80/2024 und 95/2024). Insgesamt elf Sachverständige waren eingeladen, Stellung zu dem umstrittenen Gesetzentwurf zu beziehen. In der teils hitzig geführten Anhörung zeigten sich große Differenzen sowohl bei der Einschätzung der Rechtslage, insbesondere des Verfassungsrechts, als auch der empirischen Datenlage.
 

Unterschiedliche Einschätzungen der Sachverständigen zur Sach- und Rechtslage

Dr. med. Alicia Baier, Vorstand von Doctors for Choice Germany, hielt den Gesetzentwurf für evidenzbasiert und begrüßte die Abschaffung von Zugangshürden wie der Wartefrist. Dadurch würden Schwangerschaftsabbrüche nicht häufiger stattfinden, aber früher, was die Sicherheit des Eingriffs erhöhe. Der Gesetzentwurf sei die Grundlage dafür, dass Schwangerschaftsabbrüche künftig als medizinischer Eingriff und nicht als kriminelles Unrecht behandelt werden könne.

Auch Rona Torenz, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der ELSA-Studie, sprach sich für den Gesetzentwurf aus. Eine Legalisierung könne Stigmatisierung abbauen, von der viele ungewollt Schwangere und Ärzte, die Abbrüche durchführen, betroffen seien. Dr. Beate von Miquel, Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, betonte ebenfalls, dass die derzeitige Regelung eine abschreckende Wirkung auf Ärzte habe, und begrüßte insbesondere die Abschaffung der dreitägigen Wartefrist.

Dem widersprach Prof. Dr. med. Matthias David, Koordinator der aktuellen Leitlinie zum Schwangerschaftsabbruch. Er halte die Einhaltung einer Wartefrist nach der Beratung für wichtig und sehe in Deutschland auch kein Versorgungsproblem. Ärzte fühlten sich durch die geltende Regelung nicht stigmatisiert und würden auch nicht davon abgeschreckt, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Kristijan Aufiero von der Schwangerschaftskonfliktberatung 1000plus-Profemina schließlich forderte eine lebensbejahende Beratung und die uneingeschränkte Achtung jedes menschlichen Lebens. Da dies im Gesetzentwurf nicht gewährleistet sei, appellierte er an die Mitglieder des Ausschusses, den Gesetzentwurf nicht an den Bundestag zu überweisen.

Aus rechtswissenschaftlicher Sicht stand insbesondere die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der vorgeschlagenen Neuregelung im Raum. Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf (Universität Potsdam) zeigte sich überzeugt, dass die Neuregelung verfassungskonform sei. In der Frühphase der Schwangerschaft träten die Rechte des Embryos hinter die Rechte der Schwangeren zurück. Der Gesetzgeber sei zudem nicht durch frühere Entscheidungen des BVerfG daran gehindert, das Gesetz in der vorliegenden Form zu verabschieden. Auch Prof. Dr. Karsten Gaede (Bucerius Law School) hielt den Gesetzentwurf für mit dem Grundgesetz vereinbar. Ausgangspunkt jeder Regelung müsse zwar die Anerkennung einer Schutzpflicht gegenüber dem ungeborenen Leben sein, gleichzeitig lasse sich aber eine Austragungspflicht für die Schwangere in der Frühphase der Schwangerschaft nicht hinreichend begründen. Niemand sonst müsse sich in existenziellen Fragen ein nicht gerechtfertigtes staatliches Unwerturteil für sein Verhalten gefallen lassen. Prof. Dr. Liane Wörner (Universität Konstanz), die sich ebenfalls für den Gesetzentwurf aussprach, betonte, dass der Entwurf die Ergebnisse und Empfehlungen der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung (s. dazu medstra-News 33/2024) und internationale Empfehlungen umsetze.

Kritisch sahen den Entwurf hingegen drei andere juristische Sachverständige. Prof. Dr. Dr. Michael Kubiciel (Universität Augsburg) hielt den Entwurf für rechtspolitisch verfehlt und verfassungswidrig. Eine Verpflichtung für eine Neuregelung könne dem internationalen Recht nicht entnommen werden. Prof. Dr. Dr. Frauke Rostalski (Universität zu Köln) kritisierte, dass keine neuen empirischen oder normativen Erkenntnisse vorlägen, die das BVerfG zu einer anderen Entscheidung über die Verfassungskonformität des Vorschlags bewegen könnten. Die vorgeschlagene Neuregelung sei zudem nicht geeignet, die Selbstbestimmung der Schwangeren zu fördern. Prof. Dr. Gregor Thüsing (Universität Bonn) bezeichnete den Gesetzentwurf als „radikal“ und verfassungswidrig. Er reiße eine „Brandmauer des Lebensschutzes“ ein.
 

Keine Abstimmung mehr im Bundestag

Wie die Tagesschau berichtete, entschied der Ausschuss, eine Abstimmung über den Gesetzentwurf im Bundestag nicht mehr zu ermöglichen. AfD, Union und FDP stellten sich gegen die Einberufung einer Sondersitzung des Ausschusses, die dafür notwendig gewesen wäre. Die Initiatorinnen des Gesetzentwurfs, Ulle Schauws (Grüne) und Carmen Wegge (SPD) zeigten sich darüber enttäuscht.


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