medstra-News 63/2023 vom 14.6,2023
Nachdem bereits zu Beginn des Jahres bekannt wurde, dass sich die beiden parteiübergreifenden Abgeordnetengruppen, welche eine liberale Regelung der Suizidassistenz anstreben, zusammenschließen wollen (siehe medstra-News 13/2023), haben diese nun einen gemeinsamen Gesetzentwurf „zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung“ sowie einen Entschließungsantrag zur Suizidprävention vorgestellt.
Einigkeit herrscht zwischen der aus den Abgeordneten Kathrin Helling-Plahr (FDP), Renate Künast (Grüne), Helge Lindh (SPD), Lukas Benner (Grüne), Nina Scheer (SPD), Till Steffen (Grüne) und Petra Sitte (Linke) bestehenden Volksvertretergruppe nunmehr dahingehend, „dass eine Regelung nicht ins Strafgesetzbuch gehört“, so Künast auf der Bundespressekonferenz zum Gesetzentwurf zur Regelung der Suizidhilfe. Nach Helling-Plahr brauche die „Suizidhilfe in Deutschland Menschlichkeit und keine Verbotsgesetze“, weshalb die Schaffung eines „verständlichen, klaren Rechtsrahmen[s]“ erforderlich sei, der das „individuelle Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben“ unabhängig von den jeweiligen Motiven des Einzelnen hinreichend respektiere.
Künftig soll eine ärztliche Verschreibung von Arznei- oder Betäubungsmitteln zur Selbsttötung an Volljährige zulässig sein, wenn die betroffenen Personen ihre Entscheidung zur „eigenhändig[en]“ Lebensbeendigung „aus autonom gebildetem, freiem Willen“ treffen, wobei nach dem Gesetzentwurf der Arzt nicht und auch darüber hinaus grundsätzlich „niemand verpflichtet [ist], bei einer Selbsttötung zu helfen“. Insbesondere mithilfe der verpflichtenden und ergebnisoffenen Beratung ist die Gewährleistung einer „autonome[n] und vollinformierte[n] Entscheidungsfindung suizidwilliger Personen“ beabsichtigt, die nicht lediglich auf einem übereilten Entschluss, sondern einem ausdrücklichen und ernstlichen Sterbewunsch beruhen soll. Der Gesetzentwurf nimmt die einzelnen Bundesländer in die Pflicht, ein ausreichendes Beratungsangebot durch die Schaffung von Beratungsstellen mit der notwendigen fachlichen Expertise des Personals sicherzustellen. Die ebenfalls vor jeder Selbsttötung durchzuführende Aufklärung hat sämtliche für den Suizid wesentlichen medizinischen Umstände zu berücksichtigen und umfasst damit vorrangig Auskünfte über die Suizidmethode und den Verlauf des Sterbeprozesses.
Eine Verordnung kann nach dem Vorschlag frühestens drei Wochen und höchstens zwölf Wochen nach einem Beratungsgespräch ausgestellt werden, wobei dieser Zeitraum dem Arzt durch eine entsprechende Bescheinigung nachzuweisen ist. Ausnahmsweise enthält der Entwurf die Möglichkeit, dass die Verschreibung durch den Arzt auch ohne vorherige Beratung erfolgen darf, wenn sich die sterbewillige Person „in einem existenziellen Leidenszustand mit anhaltenden Symptomen“ befindet und ein weiterer hinzugezogener Arzt die zuvor festgestellte medizinische Notlage ebenfalls bestätigt. Erklärt sich kein Arzt zur Verschreibung des Medikaments bereit, soll die im jeweiligen Bundesland zuständige Behörde zur Entscheidung über eine entsprechende Verordnung befugt sein.
Ursprünglich sah der bislang von mutmaßlich 69 Unterstützern begleitete Vorschlag um Helling-Plahr vor, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben im Rahmen eines Suizidhilfegesetzes außerhalb des Strafrechts gesetzlich verankert werden sollte und die Betroffenen sich im Vorfeld in einer der bundesweit flächendeckend noch aufzubauenden staatlich anerkannten Beratungsstellen zu informieren und nachzuweisen haben, dass ihre Entscheidung auf einem freien und eigenverantwortlichen gefassten Entschluss beruht. Daneben setzte sich die von offenbar 45 Abgeordneten unterstützte Gruppe um Künast dafür ein, dass beim Zugang zu tödlich wirkenden Betäubungsmitteln nach dem Motiv der Betroffenen für ihren Suizidwunsch differenziert wird und forderte in diesem Zusammenhang ein eigenes Schutzgesetz, das seinen Ursprung nicht im Strafgesetzbuch findet.
Mit dem Zusammenschluss der Abgeordnetengruppen soll insbesondere verhindert werden, dass der dritte fraktionsoffene und bisher von 111 Abgeordneten unterzeichnete Vorschlag um Lars Castellucci (SPD), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Ansgar Heveling (CDU), Petra Pau (Linke) und Benjamin Strasser (FDP), der eine grundsätzliche Wiedereinführung der Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Suizidhilfe mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe beinhaltet, eine mehrheitsfähige Zustimmung im Parlament erhält (siehe medstra-News 13/2023 und 50/2022).
Eine Abstimmung ohne Fraktionsvorgabe über die nunmehr nur noch zwei existierenden Entwürfe für die gesetzliche Regelung der Sterbehilfe ist noch vor der Sommerpause geplant. Eingedenk des Umstands, dass die Bundesländer für den Aufbau der Beratungsstellen die finanzielle Last tragen, müsste der liberale Gesetzentwurf anschließend auch auf die Zustimmung des Bundesrats treffen.